Bahnhofs-Gaststätte
 
Bahnhofsstr. 2
Tel.: 02921/13912

Achtung, an Gleis 13 erhält Einfahrt der Regional-Express „Verlorene Hoffnung“ von Irgendwo nach Nirgendwo! Dieser Zug endet hier! Sie haben Anschluss an nichts mehr, was auf der Zugfahrt des Lebens von Bedeutung ist!

Jeden Morgen fährt er hier pünktlich ein, der Regional-Express der verlorenen Seelen, rangiert zielsicher auf’s Abstellgleis, kommt ächzend vor dem Zapfhahn zum stehen und tankt neu auf!

An dieser Stelle aber muss der viel gescholtenen Deutschen Bahn AG erst einmal ein herzliches Dankeschön ausgesprochen werden! Niemand von uns hätte wohl je das Glück gehabt, eine Bahnhofs-Gaststätte zu betreten, wenn nicht der Intercity „Annette von Droste-Hülshoff“ mal wieder zwei Stunden Verspätung hätte, weil irgendein nassforscher Halbstarker zwischen Unna-Königsborn und Werl-Westönnen ein Kaugummi auf die Schienen geklebt hat.

  Kann es denn einen beklemmenderen Ort geben als eine Bahnhofskneipe? Hier sitzt schon morgens um 10 das Strandgut unserer Gesellschaft, viel zu früh ausgemustert, ohne Zuversicht, ohne Chance und versenkt für ein paar Stunden die Erbärmlichkeit des Seins im Pilsglas. Deinen Job hast Du schon lange verloren und so wachst Du jeden Mittag im Fernsehsessel auf, streichelst Deinen Schäferhund und schreist solange nach Deiner Frau, bis Dir wieder einfällt, dass Sie gestern Abend wie ein Walfänger Mariacron in sich hineingeschüttet hat, um sich dann mal wieder heulend ins Bad einzuschließen und über den Wäscheständer zu kotzen. Du trittst ein paar Mal besorgt gegen die Badezimmertür, stößt liebevoll ein paar gemurmelte Flüche aus, nachdem sich dahinter nichts rührt und schwingst Dich auf Deine rostige Puch Maxi in Richtung Bahnhof. Du wirfst die alte Schwingtür auf. Die Anderen sind auch schon da und empfangen Dich mit einem warmherzigen „Kalli, alten Kesselflicker!“.
"Bonjour Tristesse"

Wer kennt sie nicht, diese traurigen Figuren, die Zuflucht in dieser Enklave der Endzeitstimmung suchen und hier für ein paar Stunden am Tag wackeligen Halt am Tresen finden?

Der alte Mann mit dem zerschundenen Altkleider-Sakko und der schlaff aus seinem Mundwinkel hängenden Reyno-Zichte, die selbst beim gelegentlichen Sprechen mit rauer Stimme nicht ihren angestammten Platz verlässt, sondern beharrlich an seiner Unterlippe klebt. Der dicke, immer schwitzende Polier a. D., der in einer Minute mehr Flüssiges schluckt als ein Toiletten-Spülkasten und seine viel zu lasziv gekleidete 15-jährige Freundin, die kokett an ihrem Ed-von-Schleck lutscht.

Der Wirt war durchaus bemüht, uns freundlich und aufmerksam zu bedienen, aber die Eindrücke, die die verlorenen Gestalten und der Raum, den man eher in einer trostlosen Bahnstation in der Uckermark erwarten würde, hinterließen, legten doch eine gewisse Schwermut auf den restlichen Tag.

Ein Prosit der Gemütlichkeit im düsteren, alkoholgeschwängertem Abteil der letzten Klasse! Der Zug rast führerlos dahin und dein Leben zieht unaufhaltsam am Fenster vorbei.

Zugestiegene die Fahrkarten bitte...  

Atmosphäre:  Dein ganz persönliches Eschede *
Gäste: Generation Ex
Musik: Schlagerparade zum Mitlallen
Einrichtung: Sixties-Revival-Party in der Transsibirischen Eisenbahn
Toilette: Zugtoilette im Westbegalen-Express zwischen Kalkutta und Bombay
Preise:  Schöner-Tag-Tarif
Bewertung: 
* Wir entschuldigen uns an dieser Stelle schon jetzt für diese geschmacklose Entgleisung unseres Autors, die so nicht hingenommen werden kann.
 
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