Pflaumenbaum | |
Was ein wahrlich zeitgemäßer und allumfassender Gastronomieführer sein will, kommt natürlich an Soests unmöglichster Attraktion nicht vorbei - dem Pflaumenbaum. Nach Jahren der Langeweile und Abstinenz jeglicher Kneipenkultur in der Ehrenreichen versetzte es dereinst wohl jeden, dem das "Film-Cafe" zu langweilig und der für das "SM" zu alt war, in euphorieartige Verzückung, als die Betreiber oben erwähnter Spelunke Soest mit dem neusten Setzling ihrer Kette beglückten. So zogen denn die Verfasser aus, das Pöbeln zu lernen. Schon von Weiten künden Leuchtlettern vom "unmöglichsten Gasthaus" in der Stadt. Diese bedeutungsschwangeren Worte ließen auf einen fürwahr geselligen Abend in der erlesenen Runde interessanter und ungewöhnlicher Tavernenjünger hoffen; und siehe da, schon am Eingang öffnete uns ein in eine prachtvolle Uniform gezwängter Türsteher die Pforte zum Wallfahrtsort aller Nachtaktiven. Nachdem wir uns mühsam das Konfetti aus den Augen gerieben hatten, mit dem man uns in der Vorhalle eimerweise salutiert hatte, offenbarte sich uns die ernüchternde Wahrhaftigkeit eines etwas derberen Vergnügens ersten Köttigkeitsgrades. Unversehens sahen wir uns einer Gesellschaft gegenüber, die vom 19-jährigen Bankkaufmannslehrling im C&A-Sakko über den sonnenbankgegrillten Schlüpferstürmer im Muskelshirt bis hin zu bis zur Unkenntlichkeit geschminkten Reno-Gehilfin in den Wechseljahren reichte. Da die meisten Besucher schon in den frühen Abendstunden so blau sind wie die Früchte des eingangs erwähnten Gewächses, fallen spätestens um 22.00 Uhr die letzten Hemmschwellen. dass dabei die Ausgelassenheit der Gäste kein Indikator für coole, feuchtfröhliche Atmosphäre ist, sondern eher an peinliche Szenen von Schützenfesten und Karnevals-Prunksitzungen kleiner Provinzkäffer erinnert, scheint die Anwesenden offensichtlich nicht zu stören. Sicherlich mag der Leser jetzt zu der Meinung gelangen, die Kritiker seien prüde und vorurteilsbehaftet. Weit gefehlt! Im Gegenteil wissen wir eine ausgelassene Atmosphäre und die Dreifaltigkeit "Wein, Weib und Gesang" durchaus zu schätzen (wenngleich uns beim Genuss des Bieres nur das Stichwort "Eigenurintherapie einfiel). Indes stellt sich beim Anblick von 40-jährigen Vorzimmerdamen mit dem Sex-Appeal einer Alice Schwarzer, die sich kreischend auf den Schößen muskelbepackter Wochenendgigolos wälzen und zu den markerschütternden Klängen von Marianne Rosenberg, Ibo und Nicole ihren Stimmbändern freien Lauf lassen, doch die Frage, ob es möglich ist, die Tausende von Jahren der menschlichen Evolution innerhalb von wenigen Stunden auf das Anfangsstadium zurückzudrehen. Endgültig entmutigt wird man jedoch durch die wirklich originellen und von unverwechselbarem Humor geprägten Sprüche des D.J.s. Diese Dörrpflaume ist etwa so witzig wie der Moderator einer Weihnachtstombola beim Taubenzuchtverein oder der Anheizer, der alljährlich zur Kirmes die Gäste seines "Rangers" in Angst und Schrecken versetzt. Was bleibt an Positivem zu sagen ? Einzig und allein die Einrichtung vermochte die geplagten Kritiker zu überzeugen. Allerlei Trödel und Kleinodien bieten einen alternativen Blickfang zum Einheitspublikum (Oberlippenbart-Pflicht!). Abschließend sei noch zu sagen, dass auch die Getränkepreise, die selbst die Veranstalter des Oktoberfestes vor Neid erblassen ließen, auch nicht unbedingt zu einem längeren Aufenthalt verleiten.
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