Café Schümer (1997) | |
Was passiert, wenn das Stammpublikum eines Lokals das Verfallsdatum schon überschritten hat und auf der Straße des Lebens das Stop-Schild fest im Blick hält, kann am Beispiel des Café Schümer sehr schön vergegenwärtigt werden. Was Mitte der Neunziger noch ein Mausoleum mit Bewirtung war und soviel Lebensfreude versprühte wie Gunther von Hagens „Körperwelten“, präsentiert sich heuer als beliebter Treffpunkt quirliger Mittfünfziger, die nach dem Squash hier noch einen Absacker die Kehle hinunterlaufen lassen.
in der Schützenhalle Borgeln mit dem Verkauf von selbstgemalten Seidentüchern verwirklicht und abends den Frauen-Hobby-Literaturtreff „Lyringsen“ mit ihren selbstverfassten erotischen Fantasien martert. Samstag Morgen: Sie geht früh shoppen – er zum Frühschoppen! „Heinz, noch’n Gedeck!“ schallt es aus der zigarrenrauchvernebelten Sitzecke Richtung Tresen, in der der gepflegte Altenherrenwitz sein letztes Refugium gefunden hat. Wir besuchten das Café in freudiger Erwartung älterer Mitmenschen, die spannenden Geschichten über den Ardennensturm und der ersten Fahrt mit Pengel-Anton zum Besten geben, waren aber entsetzt ob der respektlosen Fröhlichkeit der heute anwesenden Gäste. Ein Tanz auf Gräbern! In diese faszinierende Welt von Menopause und Midlife-Crisis eingetaucht und auf den leider immer noch grün-rot bezogenen Küchenstühlen niedergelassen, wagten wir nach einem Blick auf die Karte „Rührei mit Brot“ zum Frühstück zu bestellen. Was uns hier dann allerdings serviert wurde, war trockenes Backwerk und eine Pfanne speigelber Eiermatsche, die beim ersten Biss an Bauschaum erinnerte und sich halbgar den Weg zum Zwölffingerdarm freischleimte. Dreitägiger, harter Kampf des Magen-Darm-Traktes besiegte zwar die garstige Pampe, aber der Anblick der Pfanne verfolgt uns noch heute: es lässt wohl sich nicht mehr genau nachverfolgen, ob das Ding mit der Völkerwanderung über die Alpen kam oder als Grabbeigabe in der Steinkiste gefunden wurde, jedenfalls hat die mittlerweile gänzlich fehlende Teflonbeschichtung wohl Generationen von Soestern eine schleichende TBT-Vergiftung beschert. Das Brateisen glänzte wie ein blinder Spiegel, drehte sich mit seinem verzogenen Boden lustig auf dem Tisch und animierte spontan zum Flaschendrehen. In Sorge um das eigene Wohl haben wir auf weitere Tests verzichtet und können zumindest die Pfannengerichte nur denen empfehlen, die den Verzehr auf Video bannen und an „Jackass“ einsenden möchten! Das Ambiente sollte nicht unerwähnt bleiben: sieht man mal von den Geldspielautomaten ab, atmet der Raum immer noch den muffigen Charme des Zimmers einer bettlägerigen Witwe und hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Der dunkle, schlauchartige Raum läuft geradewegs auf ein großes Fenster zu und löst sicherlich beim älteren Mitmenschen das Erlebnis einer Tunnelvision aus („Halte dich fern vom Licht, Matta!“). Das Durchschnittsalter der Besucher hat sich zwar um 30 Jahre gesenkt und es geht hier nun auch lebhafter zu, aber die kleine Spelunke stellt sich weiterhin unbeugsam dem Zeitgeist entgegen. Mein sechzigjähriger Onkel, der immer noch in der unveränderten Wohnung meiner verstorbenen Großmutter lebt und 13 Stunden am Tag regungslos in Muttis Sessel am Fenster verbringt, wirkt veränderungswilliger als das Team vom Café Schümer. Wie uncool...
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